Meine erste Begegnung mit dem Ortler hatte ich 2009 an der Sesvennahütte. Dieser gewaltige Brocken von Berg dahinten hat mich schwer beeindruckt. Ich war auf meiner ersten Alpenüberquerung unterwegs und gerade aus der nicht minder beeindruckenden Uinaschlucht gekommen. Kaum eine Tour in den nächsten Jahren, bei der ich den Ortler nicht gesehen habe. Oft weit weg und immer aus einem anderen Blickwinkel. Irgendwann habe ich dann gelesen, dass es eineTour gibt, welchen den Ortler in mehreren Etappen umrundet.
Es gibt sogar zwei Touren. Unsere Planung ist eine für uns möglichst fahrbare Mischung der Touren von Achim Zahn und Ulrich Stanciu.
Transalp 2017
300 km, 11.975 Höhenmeter, 10 Tage, 12 Pässe, davon 10 über 2.000m
Höchster Punkt: Madritschjoch 3123m
5.- 14. August 2017 – mit Manfred, Michael und Roman
Wir sind am Freitagabend schon in unserem Hotel Ortlerhof in Martell im Martelltal angekommen, haben gegessen und ganz OK übernachtet. Das Auto dürfen wir hier die nächsten Tage stehen lassen.
Gasthof Ortlerhof
Transacqua 174 – 39020 Martello
+39 0473 744518
1. Tag
27,6 km – 1137 hm hoch – 1540 hm tief – 5:00 Std in Bewegung
(Die 752 hm Seilbahn sind aus der Tageshöhe schon abgezogen)
Martello 1182 m – Tarscher Joch 2436 m – Tarscher Pass 2517 m – Hotel Weiberhimmel 1530 m (Santa Valburga)
Unser Hotel liegt direkt am Track und wir können gleich von der Haustüre weg bergab starten. Zuerst fahren wir ein kurzes Stück auf der Straße und dann links weiter auf einem schönen Trail am Plimabach entlang. Nach etwa 3 km überqueren wir die Hauptstraße und der Trail wird anspruchsvoller. Wir fahren jetzt leicht bergauf auf den Resten eines alten Waalweges – auf der Karte steht „Neuwal“ – teilweise so dicht am Abhang, dass ich manchmal in das Bett des früheren Wasserlaufs ausweiche, weil ich fürchte, sonst abzustürzen.
Durch den Start in Martell müssen wir nicht, wie im Original geplant ins Vinschgau abfahren und anschließend wieder hoch, sondern wir können über dem Tal bleiben. Wir finden einen schönen Verbindungsweg und bleiben oben im Wald. Es ist sehr schön hier.
Der „erste Sturz“ kommt als Michael sich an einer Schlüsselstelle, es geht steil bergab, nicht schnell genug für rechts oder links entschieden kann. Er legt einen Stunt mit Tanzeinlage hin, umarmt ein Bäumchen und kann sich halten, zum Glück passiert ihm nichts.
Kurz vor Tarsch kommen wir aus dem Wald. Im Ort zieht die Straße steil zum Sessellift hoch und es wird recht anstrengend da hinaufzufahren. Außerhalb des Waldes ist es schon heiß und ich stelle mir vor, dass der schattige Weg am Waldrand der bessere wäre. Wir versuchen es, kehren aber rasch wieder auf die Fahrstraße zurück. Der Waldweg ist zwar schattig, dafür aber nicht fahrbar, der Untergrund ist zu rau, der Weg zu steil.
Eine geplante Liftfahrt
Von Anfang an ist es geplant die Seilbahn hoch zur Tarscher Almlounge zu nehmen. Die Bahnfahrt erspart uns 750 Höhenmeter und macht so diese erste Etappe überhaupt erst möglich. Nach einer kleinen Pause, gleich bei der Bergstation, machen wir uns an die üble Schieberei hoch zum Tarscher Pass auf 2527 m.
Der Weg beginnt sofort mit einer 20 % Steigung. Zwischendrin wird es etwas flacher, aber das letzte Stück ist verblockt und immer 20 – 26 % steil. Selbst das Schieben ist so anstrengend, dass ich mein Rad zurücklasse und erst meinen Rucksack hoch schaffe, um dann im zweiten Schritt das Rad nachzuholen.
Nach dem ersten Verschnaufen kommt die Erkenntnis, dass wir die Passhöhe noch gar nicht erreicht haben. Wir sind hier am Tarscher Joch mit seinem von unten her gut sichtbaren Wetterkreuz. Der Tarscher Pass liegt noch ein Stück höher, aber ab hier geht es wieder leichter.
Vom Pass hinunter ins Ultental ist immer noch schieben angesagt, nicht ohne Grund klassifiziert Achim Zahn den Pass als ungeeignet für MTB. Erst 400 hm tiefer treffen wir auf die Piste, welche vom Tal hoch zum Staudamm des Arzkarsee´s führt, ab hier kann man wieder fahren.
Weitere drei Kehren tiefer treffen wir auf die Kuppelwieser-Alm. Wir rasten kurz und fahren danach sehr flott weiter ab. Beim alleinstehenden Hotel Weiberhimmel beenden wir den heutigen Tag und checken ein. Etwas platt bin ich schon.
Weiberhimml
Localita‘ Waldschenke 565 – 39016 Santa Valburga
+39 0473 796053
2. Tag
22,3 km – 1407 hm hoch – 483 hm tief – 4:40 Std in Bewegung
Hotel Weiberhimmel 1530m (Santa Valburga) – Passo di Rabbi 2467m – Haselgruber Hütte 2425m
Am anderen Morgen geht die Piste sofort hoch, steil aber gerade noch fahrbar. Man sagt uns, dass man oben in Sankt Moritz, einem netten Ort mit drei oder vier Häusern, gut essen kann. Mag sein, aber wir sind ja gerade erst losgefahren.
Weiter geht es auf der kleinen Straße, meist auf gleicher Höhe, gemütlich zum nächsten Örtchen Innergrub und bald danach steil zwischen den Höfen hindurch hinunter nach St. Nikolaus. Wir sind jetzt im Ultental angekommen und fahren auf der Talstraße neben dem Valschauer Bach in Richtung St. Gertraud.
Auf früheren Radreisen habe ich gelernt, dass ich mit größerem Sicherheitsabstand überholt werde, wenn ich den Autofahrer hinter mir zwinge die Mittellinie wenigstens zu berühren.
Der kluge Fahrer des Milchlasters
Heute habe ich eine kurze Begegnung mit dem Fahrer eines Milchlasters, welcher von Hof zu Hof fährt und die Milch abholt. Bei unserer ersten Begegnung überholt er mich sehr knapp, nur um dann am nächsten Hof von mir wieder eingeholt zu werden.
Bei der zweiten Begegnung fahre ich also nicht mehr ganz so dicht am Straßenrand und wie geplant überholt mich der Fahrer nun mit mehr Abstand. Zieht dann aber gleich darauf sehr dicht vor mir wieder nach rechts und schneidet mich so. Bei seinem Stopp am nächsten Hof halte ich und spreche ich ihn auf sein Verhalten an. Es kommt zu folgendem Wortwechsel:
„Es macht uns Angst, wenn wir so knapp überholt werden“ – „Radfahrer gehören auf den Radweg“ – „Und wo ist der?“ – „Wir brauchen hier keinen!“
Er hat wohl selbst bemerkt, was für einen Schmarn er da von sich gibt. Bei unserem nächsten Zusammentreffen war der Abstand OK.
Am Ortsrand von St. Gertraud stehen die Ultener Urlärchen, die ältesten Bäume Europas. Gerade als wir zu ihnen abbiegen wollen, holt uns ein Gewitter ein. Wir können uns gerade noch unterstellen und darauf warten, dass der starke Regen aufhört.
Wir müssen uns mit einem „der Regen wird schwächer“ begnügen, um weiter zu kommen. Und weil wir nicht riskieren wollen, dass der Regen uns auf dem Weg zur Haselgruber Hütte noch einmal einholt, fahren weiter ohne die Bäume gesehen zu haben.
Der Weg zur Hütte führt durch das Kirchbergtal, anfangs ist die Piste noch fahrbar, sie zieht bald aber deutlich an und zuletzt schieben wir wieder. Wie wir schon befürchtet haben, holt uns der Regen wieder ein und wir kommen für den restlichen Tag aus dem Regenzeug nicht mehr raus.
Die drei letzten Betten gehören uns
Auf 2300 m Höhe geht die Piste in einen Wanderweg über. Die Steigung zieht noch einmal an und liegt jetzt im Bereich von 26 %. Das allerletzte Stück bis zum Passo di Rabbi ist verblockt, hier sind es sogar 32 % Steigung.
Während wir uns langsam hoch quälen, kriecht der Nebel vom Tal herauf und immer dichter an mich heran, bleibt dann aber einen Schritt hinter mir und hüllt mich nicht ein. Ich habe das gar nicht bemerkt, aber Michael hat es von weiter oben mit mehreren Fotos dokumentiert. Am Rabbi Joch ist es dann lausig kalt und Michael schiebt sofort weiter als ich oben ankomme. Ich mache noch ein Foto und bin dann auch weg. Von hier zur Haselgruber Hütte sind es keine 300 m, Roman wird uns finden.
Es regnet immer noch und die Abfahrt ins Tal verspricht sehr spaßfrei zu werden. Abfahren wäre eine reine Trail Verschwendung. Spontan entscheiden wir hier zu übernachten und bekommen tatsächlich die drei letzten Schlafplätze. Das Paar, welches nach uns kommt, wird abgewiesen.
Haselgruber-Hütte – Rifugio Stella Alpina al Lago Corvo
Telefon: +39-0463/985 175
Tal: +39-0463/985182
3. Tag
32,8 km – 1447 hm hoch – 2680 hm tief – 5:42 Std in Bewegung
Haselgruber Hütte 2425 m – Pozza Granda 2480 m – Passo Cercena 2623 m – Cogolo di Peio 1170 m
Am nächsten Morgen ist alles sauber gewaschen und der Himmel wolkenlos. Die Abfahrt von der Haselgruber Hütte ins Valle di Rabbi ist anspruchsvoll, aber auch mit Spaß fahrbar. Nach 3 km erreichen wir die Forststraße und fahren auf ihr versehentlich ein Stück zu weit. Ich bemerke den Fehler und wir fahren die 100 m zum verpassten Abzweig zurück.
Vielleicht war es diese Unterbrechung im Flow, jedenfalls übernimmt Roman den „zweiten Sturz“ auf dieser Tour. Es passiert auf den ersten hundert Metern des eigentlich noch leichten Trails, vermutlich bleibt Roman an einem der vielen, in der Bergwiese verteilten, Steine hängen. Er kippt direkt vor mir zur Seite und verletzt sich an der Schulter. Wir versorgen ihn mit einer ersten Ration Schmerztabletten und fahren anschließend auf einer leichteren Variante die restlichen 6 km in´s Tal ab.
Die Notfallmedizin kommt zum Einsatz
Im Kurort Rabbi angekommen wollen wir als Erstes die Verletzung begutachten und überlegen, wie es weitergehen kann. Äußerlich ist nichts zu sehen und wir vermuten eine starke Prellung. Roman möchte auf jeden Fall weiterfahren und ich gebe ihm mein Fläschchen mit der Notfallmedizin, damit er selbst dosieren kann. (Er wird die Tropfen brauchen).
Zur Sicherheit klären wir von Rabbi aus noch unsere nächste Übernachtung und machen uns anschließend zwischen vielen Ausflugswanderern auf den Weg durch das ansteigende Val Cercen zum Passo Cercena.
Der Tag wird langsam heiß und die Piste ist mit 16-18 % so steil, dass wir kaum etwas fahren können. Schon nach wenigen Kehren biegen die vielen Spaziergänger ab und wir sind wieder alleine.
Als ich die Malga Cercena Bassa erreiche, haben Roman und Michael schon Brot und Käse bestellt. Wir stärken uns und schieben weiter. Nach der Malga geht die Piste in einen Wanderweg über und das Vorwärtskommen wird noch beschwerlicher. Alle paar Schritte muss ich stehen bleiben, um wieder zu Atem zu kommen. Ich bin ziemlich im Sack, wie Michael sagen würde.
Die Kühe im Wind
Es ist die Hitze, und vielleicht spielt die Höhe auch eine Rolle. Wie zum Hohn werden wir von nachkommenden Radlern aufgerollt. Der vorderste fährt noch lange auf dem Wanderweg, die anderen sind zwar auch am Schieben, aber doch deutlich schneller als ich. Unmittelbar vor der Passhöhe bäumt sich der Weg noch einmal auf. Das Navi zeigt 30 %.
Am Passo Cercena haben wir eine weite Sicht nach allen Seiten, ganz hinten vermutlich die Zufallsspitzen aus den Ortler Alpen. Einige Kühe stehen im Wind und beäugen uns. Die Abfahrt ins Valle di Peio fängt mit einer langen, leicht abfallenden Hangquerung an und geht dann anspruchsvoll mit etlichen Kehren auf bröseligem Untergrund plus Geröll weiter. Etwas tiefer wird es zwar flacher, aber die künstlich angelegten Ablaufrinnen für den Regen sind so tief, dass ich einmal hängen bleibe und, mit der Option links den Hang runter, beinahe über den Lenker gehe. Die restliche Abfahrt gehe ich mit großem Respekt an.
Wir wollen auf Roman´s Verletzung Rücksicht nehmen und den geplanten Trail hinunter in den Ort weglassen. Mit Navi Autorouting lassen wir uns leiten und kommen so auf dem letzten Stück auf einem einfachen, aber auch sehr steilen, gelegentlich steinigen und kaum begangenen Pfad nach Cogolo di Peio. Ob das jetzt wirklich einfacher war? Wir übernachten im Hotel Ortles (wie der Ortler in Italien genannt wird)
Hotel Ortles
Via Giovanni Casarotti, 66 – 38024 Cogolo di Peio – Val di Sole
+39 0463 754073
4. Tag
32,5 km – 1142 hm hoch – 1028 hm tief – 4:41 Std in Bewegung
Cogolo di Peio 1170m – Passo del Tonale 1883m – Ponte di Legno 1279m
Ich hab’s gestern schon bemerkt. Dachte aber, der Geschmack beim Trinken hätte etwas mit dem gegessenen Käse der Malga Cercena zu tun. Stimmt aber nicht, meine Trinkflasche ist total vergammelt. Ich muss wirklich gesund sein, wenn ich diesen Gammel so einfach wegstecke. Ich habs versucht, aber ein Reinigen der Flasche war nicht mehr möglich. Da ging nur noch wegwerfen und das Energiepulver für das Schimmelwachstum gleich hinterher. Wir fahren also, auf der Suche nach einer neuen Trinkflasche, langsam das Valle di Peio hinab. Im Supermarkt von Ossana finde ich endlich eine einfache Wasserflasche mit Fahrrad geeignetem Verschluss. Jetzt ist alles wieder gut. Das Wetter ist sonnig, aber nicht so heiß wie gestern.
Im Val di Vermiglio angekommen, wechseln wir rasch auf eine Forststraße, die langsam höher steigt. Wir sind entspannt unterwegs, aber natürlich gibt es auch hier immer wieder was zu schieben. Die gelegentlichen 18 % Steigungen bleiben uns treu.
Wir ändern die Route ab
Vor uns liegt nun ein Bereich mit nur wenigen Übernachtungsmöglichkeiten. Wir sollten deshalb bald klären, wo wir schlafen können. Roman hat Schmerzen weshalb wir, entgegen der ursprünglichen Planung, den Bergrücken zwischen Valle di Peio und Vall di Pezzo nicht überqueren. Wir wollen stattdessen im Tal bleiben und hier eine Übernachtung finden. An unserem aktuellen Standort im Wald bekommen wir keinen Handyempfang und so fahren wir tiefer nach Passo del Tonale ab. Der Ort ist seit meinem ersten Besuch 2009 nicht schöner geworden, hier wollen wir nicht einmal über Nacht bleiben.
Immerhin haben wir in Tonale wieder Empfang, müssen aber leider feststellen, dass unser Wunschquartier in Pezzo nicht mehr existiert. Es nützt nichts, wir müssen noch etwas mehr von der Route abzuweichen und unser Glück in Ponte di Legno zu versuchen. Unser Weg dorthin führt uns teilweise sehr steil über abwärts Skipisten. Mehrfach kreuzen wir auch die Trails vom öffentlichen Bikepark. Einmal müssen wir mit lauten Schreien eine Urlauberfamilie mit Kind von einer Gefahrenstelle vertreiben. Neugierig schauend, stehen sie genau an der Stelle, wo jeden Moment die Downhiller mit Schwung aus dem Wald schießen können.
In Ponte di Legno nimmt uns gleich das erste Hotel am Ortseingang auf. Wir wollen uns aber noch die Beine vertreten und gehen zum Essen in den Ort. Auf dem Rückweg machen wir noch einen kurzen Besuch beim leider schon abgestellten Kinderkarussell.
Ich schlafe sehr schlecht. In der Nacht gab es ein Gewitter und die Fahnen vor dem Hotel haben im Wind ständig an Ihre Stangen geschlagen.
Hotel Garnì Pegrà
Via Nazionale, 11 – 25056 Ponte di Legno
+39 0364 903119
5. Tag
32,6 km – 1392 hm hoch – 888 hm tief – 3:56 Std in Bewegung
Ponte di Legno 1279m – Passo di Gavia 2621m – S. Catarina Valfurva 1743m
Heute wird es eine kurze Etappe. Durch das Val di Pezzo über den Passo Gavia und wieder hinunter nach S. Catarina Valfurva.
Der Himmel ist bewölkt, nicht zu warm, perfekt. Hochkurbeln mit den üblichen 10 % eines Straßenpasses. Weiter oben wird die Straße deutlich schmäler. Das könnte der Grund für das überraschend geringe Verkehrsaufkommen sein.
Wir gönnen uns eine kurze Pause am Pass. Es ist einiges los hier, viele Rennradler und etliche Motorräder. Draußen vor der Hütte ist es so frisch, dass wir drinnen essen. Nachdem wir die gute Luft gewohnt sind, ist das keine ganz einfache Entscheidung. Mit einer Portion Nudeln gestärkt geht es mit einer fulminanten Abfahrt mit unzähligen Kehren nach S. Catarina Valfurva.
Im Ort bekommen wir wieder gleich im ersten Hotel ein Zimmer. Im großen Speiseraum sitzen auch die Teilnehmer einer geführten Transalp, es gibt zwei Leistungsgruppen und viel Wichtigtuerei. Ich bin sehr zufrieden damit, dass wir unser eigenes Ding machen.
Auch in dieser Nacht zieht ein Gewitter durch.
Hotel Sport
Via Magliaga, 2 – 23030 Santa Caterina
+39 0342 925100
6. Tag
27,1 km – 1377 hm hoch – 1540 hm tief – 5:36 Std in Bewegung
S. Catarina Valfurva 1743 m – Passo Zebru 3005 m – “kleiner Ort” 1629 m
In der Nacht hat es heftig geregnet, aber am Morgen ist die Sonne wieder da. Heute wollen wir über den Passo Zebru. Bis auf eine Höhe von ca. 2700 m kommen wir relativ gut auf der Piste durch das Val de Forni und das Valle di Cedec voran. Auf jeden Fall lässt es sich gut schieben.
Unser Weg deckt sich nun mit einem Teilstück des Sentiero della Pace. Wieder einmal sind wir im ehemaligen Frontgebiet. Die Piste hinauf zum Passo Zebru endet beim Rifugio Luigi E. Pizzini. Wir machen eine kleine Pause und trinken etwas Warmes. Der Hüttenwirt meint, dass wir seit Langem die ersten Radler sind, welche nicht mit dem Shuttle kommen.
Von der Hütte sind es nur noch 300 hm bis zum Pass. Wir schieben auf dem Wanderweg langsam dieses letzte Stück, es geht überraschend gut, natürlich wird es auch mal steil, aber kein Vergleich mit der Schinderei beim Passo di Rabbi.
Stacheldraht am Pass
Unterhalb der Passhöhe sehe ich aus einiger Entfernung braune Streifen, die ich mir nicht gleich erklären kann. Wir sind oberhalb der Baumgrenze, Gestrüpp wird es also nicht sein. Beim Näherkommen sehe ich, es ist der vom Schnee platt gedrückte Stacheldraht aus dem 1. Weltkrieg!
Am Pass, auf 3005 m, bläst ein starker Wind. Die Aussicht ist gigantisch und lohnt sich auf jeden Fall. Von hier Abfahren geht erst mal leider nicht. Es gibt zwar Videos auf YouTube, aber das ist eine andere Leistungsklasse. Außerdem fehlt ein Stück vom Weg. Dieses abgegangene Teilstück ist nun für die Wanderer mit Drahtseil gesichert. Der Trail durch das Val Zebru ist für mich lange nicht fahrbar.
Reine Kopfsache – in ihm spuken alte Erlebnisse. Es ist hier steil, steinig, und bröselig. Immer wieder blitzt mir die Erinnerung an meinen Sturz oben am Timmelsjoch auf. So glimpflich wie dort würde es hier nicht ausgehen.
Vor uns liegen in kurzem Abstand zwei Hütten, in denen wir übernachten können. Wir fahren weiter. Bei den Hütten ist aber so was von toter Hund. Kaum haben wir die letzte Hütte hinter uns gelassen fängt es mit regnen an. Und der Regen wird auch heute wieder nicht mehr aufhören.
Bei Regen gibt es immer den einen Punkt, ab dem alles gleichgültig ist. Das Wasser läuft aus den Schuhen? Egal. Nichts zum Unterstellen? Egal. Nichts zum Schlafen? Fast egal.
Michael hat spezielle Fähigkeiten
Wir erreichen ein Dorf und Michael geht in die Dorfkneipe welche wir versehentlich für eine Tourist- Info gehalten haben. Egal. Jedenfalls kann man den Michael losschicken, er besorgt uns in der Kneipe eine private Unterkunft. Es ist eine leer stehende, schlichte Wohnung im Originalstil der 50er Jahre.
Die Übernachtung kostet uns zusammen 60 €. Wir bitten um Wein und Bier und bekommen 2 Flaschen brauchbaren Wein und 4 Flaschen Bier. Das kostet noch einmal 10 €. Und weil es kalt ist, holt der Vermieter Holz und schürt in der Küche den Ofen für uns an. Bald stehen und hängen unsere tropfend nassen Sachen am heißen Herd.
Wir sind froh über den trockenen Platz, aber es riecht nach zwanzig Jahren nicht gelüftet. Um hier schlafen zu können, müssen wir uns betrinken. Und das machen wir auch. Später bekommen wir in der vermeintlichen Tourist-Info auch etwas zu essen.
Wieder einmal schlafe ich schlecht. Das erste Bett, mit dem ich es versuche, ist zu kurz. Und dann fällt die schwere Wolldecke auch noch ständig auf den Boden. Ich friere und es dauert lange bis ich schlaf- und auch sonst trunken endlich mein Glück mit einem anderen Bett versuche. Es bleibt kalt. In mehreren Etappen ziehe ich mich im Laufe der Nacht immer wärmer an.
Wo das war, wird nicht verraten.
7. Tag
21,7 km – 939 hm hoch – 379 hm tief – 2:46 Std in Bewegung
“kleiner Ort” 1629m – Passo di Fraele 1955m – Cancano 1993m
Auf das Frühstück verzichten wir. Lieber fahren wir vollends nach Bormio ab und gehen da ins Café.
Ich nutze noch die Gelegenheit und kaufe in einem Sportgeschäft eine neue Regenhose. Die Alte hat gestern den Geist aufgegeben. Auf die Idee mir auch Ersatz für den verlorenen Vliespulli zu besorgen komme ich nicht.
Die heutige Etappe soll auf Kriegswegen über die Berge zum Stilfser Joch führen. Nach unseren Einkäufen kurbeln wir also die Fahrstraße bei gleichmäßiger Steigung hoch zum Passo di Fraele. Es ist meine erste Tour mit Smartphone und ich teste täglich die Zuverlässigkeit des Wetterberichts. Bisher war er ziemlich genau, sodass ich Vertrauen habe, als die Wetterprognose für den Nachmittag Gewitter vorhersagt.
Wir sind wirklich noch nicht lange unterwegs, aber am Nachmittag wären wir ungeschützt mitten in den Bergen. Sicherheitshalber beenden wir die Etappe, kaum das sie begonnen hat und nehmen kurz vor dem Stausee Lago di Cancano im Quartier.
Und wir haben es richtig gemacht. Bald darauf regnet es stark, dann setzt Hagel ein.
Chalet Villa Valania
Cocalità Cancano – 23038 Valdidentro
+39 0342 919434
8. Tag
39,7 km – 1370 hm hoch – 1760 hm tief – 5:53 Std in Bewegung
Cancano 1993m – Bocchetta di Pedenolo 2703m – Bocchetta di Pedenoletto 2782m – Bocchetta di Forcola 2768m – Stilfser Joch 2757m – Trafoi 1541m
In der Nacht hat es in den Bergen geschneit und am Morgen sind die Gipfel „angezuckert“. Als wir an diesem 12. August losfahren zeigt das Thermometer 5 °C, laut Webcam hat es am Stilfser Joch jetzt -9 °C.
Unser Tag beginnt damit, dass wir ohne besondere Anstrengung zum Stausee Lago di Cancano rollen. Weiter über die Staumauer und noch eine kurze Strecke weiter bleibt es ein einfaches Fahren. Bei der ersten Weggabelung halten wir uns rechts, bald darauf bei der nächsten Gabelung links. Wir kommen in das Valle Forcolla bleiben aber nicht lange im Talgrund. Noch einmal biegen wir ab. Jetzt beginnt der mühsame Anstieg auf den halb zerfallenen Resten des alten Militärweges. Dass auf diesem schmalen Serpentinenweg Kanonen hochgeschafft wurden, kann ich kaum glauben, vielleicht eher der Nachschub.
So dicht am Stausee und doch so weit weg. Hier ist nichts Liebliches mehr. Die Ausblicke auf die umliegenden Berge werden umso beeindruckender je höher wir kommen. Nach einem langen Steilstück wird das Gelände flacher und der Pfad wird zum breit ausgebauten und recht gut erhaltenem Weg.
Es gibt hier sogar eine Alm. Ich höre die Murmeltiere pfeifen, sehe aber kaum welche, während Michael vor mir viele fotografiert. Im flachen Gelände haben die Straßenbauer jede noch so geringe Bodenwelle ausgeglichen und für längere Zeit ist alles wieder fahrbar. Ab einer Höhe von ca. 2500 m liegt etwas Schnee. Später, bei Verwehungen, liegt er stellenweise so tief, dass Micheal sein Rad parken kann.
Verfallende Steige
Die Bocchetta di Pedenolo auf 2703 m ist unscheinbar und fällt nicht wirklich auf. Auch sind die Angabe auf der Karte und das Schild am Weg nicht deckungsgleich. Wir nehmen anschließend den Weg hinüber zum Bocchetta di Pedenoletto. Das Wegstück ist nicht fahrbar und an einer Stelle ist der Weg abgerutscht. Wir müssen die Hände zu Hilfe nehmen.
Zum Ausgleich können wir später auf ähnlicher Höhe hinüber zur Bocchetta di Forcola 2768 m wechseln und verlieren nicht unnötig an Höhe. Zuerst sehen wir uns aber bei der Bocchetta di Pedenoletto um. Hier gibt es noch Reste von Grundmauern, anscheinend wurde von hier aus der Aufstieg gesichert.
In der Nachbereitung der Tour mit Karte und Google Earth sieht man, dass man von hier aus einen Frontsteig im Süden im Blick hatte. Heute der Sentiero 5, die Verbindung von Stilfser Joch Straße und heutigem Sentiero Della Pace. Ich halte es für möglich, dass man den Steig genau an diese Stelle gebaut hat, weil er von hier oben einsehbar ist.
Etwas weiter, am Bocchetta di Forcola, hat sich noch ein Schützengraben mit betonierten Schießscharten erhalten. Von hier aus sieht man weit hinüber zum Stilfser Joch, welches ungefähr auf gleicher Höhe liegt. Auf einem schönen Singltrail fahren wir hinunter zur Hauptstraße, welche die beiden Pässe Umbrail und Stilfser Joch verbindet.
Nicht mehr weit zum Stilfser Joch
Der „dritten Sturz“ ist meiner, jeder darf einmal. Ich fühle mich gut und ich bin im Flow. Aber zu zaghaft beim Vorderrad anheben. Ich bleibe hängen und kippe nach links auf einen Stein. Glück gehabt, rechts wäre blöder gewesen. So schmerzt mein Ellbogen zwar noch ein paar Tage, aber er behindert mich nicht.
Das Stilfser Joch ist ein Rummelplatz, und weil es zusätzlich nicht gerade warm ist, bleiben wir nur kurz und fahren dann weiter. Wir wollen gerne auf der Furkelhütte übernachten. Der Trail ginge hier irgendwo um die Ecke steil ab. Aber der Trubel hier stört mich und ich möchte keine Menschenmenge an Zuschauer haben, wenn ich mich nicht zu fahren traue. Am Navi sehe ich, dass wenige Kehren tiefer auch ein Weg zur Hütte führt. Ohne weitere Prüfung fahren wir auf der Passstraße tiefer ab.
Ganz klar eine Fehlentscheidung. Wir haben so die Abfahrt auf dem Wormisionssteig und dem Goldseeweg verpasst. Weil jedoch das Glück mit uns ist, haben wir dennoch eine Übernachtung bekommen.
Ja, diesen Weg hinüber zur Furkelhütte gibt es. Aber von unserem Standpunkt aus müssten wir auf einem schmalen, unfahrbaren Pfad wieder hoch. Ein Anruf bei der Furkelhütte ergibt, dass man hier inzwischen nicht mehr übernachten kann. Die Furkelhütte ist nur noch die Bergstation der Seilbahn von Trafoi.
Notgedrungen fahren wir die restlichen 1000 hm nach Trafoi auch noch ab. Hinter uns drängeln Autohelden vor den Haarnadelkurven, von unten kommen uns Rennradler entgegen. Im Garni Interski in Trafoi nimmt man uns auf. Wer in Trafoi etwas essen möchte, hat nicht viel Auswahl. Wir landen im 4 Sterne Hotel Madatsch, eine Kehre über unserer Unterkunft, und beschließen uns etwas zu gönnen.
Garni Interski
15 Localita‘ Trafoi – 39029 Stelvio – Familie Wallnöfer Yokokawa
+39 0473 611714
9. Tag
37,2 km – 1127 hm hoch – 1440 hm tief – 5:28 Std in Bewegung
(Die Seilbahnfahrten sind aus der Tageshöhe schon abgezogen)
Trafoi 1541m – Schartalpe 1850m – Adolf- Schaubach- Hütte 2581m
Die Talstation zur Furkelhütte ist gleich um die Ecke und so beginnt der Tag mit einer Seilbahnfahrt – und er wird auch mit einer Seilbahnfahrt enden.
Nach einigen Anlaufschwierigkeiten, der Kartendrucker geht nicht und ohne Karte keine Fahrt, bringt uns der Sessellift hoch zur Furkelhütte, das Pedal vorne am Bügel eingehängt. Michael kennt diese Technik anscheinend noch nicht. Als ich mich auf halber Strecke zu ihm umdrehe, sehe ich, dass er sein Rad ohne es abzustützen vor sich hält. Lang geht’s nicht mehr, meint er. Wieder was gelernt.
Wir sind nun wieder hoch über dem Trafoier Tal, der Tag wird sonnig und die Sicht auf die umliegenden Berge und Gletscher ist eindrucksvoll – wenn das mal nicht der Ortler war. Es geht ohne Aufregung oder besonderes Highlight dahin, mal Forststraße, mal Trail, nicht immer fahrbar, wie es auf langen Touren halt so ist.
Wir sehen ein paar Wanderer und zum ersten Mal auf unserer Tour auch eine kleine Gruppe mit Mountainbikern. Den Übergang Schartalpe bemerken wir nicht, so unscheinbar ist er.
Eis schlecken in Stilfs
Gleich nach der Schartalpe kommt ein anspruchsvoller und steiler Trail. Wir fahren das erste Stück, bis er die Forststraße schneidet, lassen dann aber die Verlängerung aus. Roman ist verletzt und ich bin mir unsicher geworden, ob ich die technische Schwierigkeit auf dem weiteren Trail fahren kann.
Wir erreichen Stilfs. Es ist immer noch gut warm und wir gönnen uns ein Eis. Telefonisch reservieren wir auf der Adolf- Schaubach- Hütte die letzten drei Plätze im Lager. Man versichert uns, dass wir die letzte Bahn um 16:30 in Sulden noch schaffen können.
Wir schaffen es, aber wie? Anfangs geht es noch schön den Berg hinunter, mit dem Gegenanstieg habe ich nicht gerechnet. Und der zieht sich. Wenige Minuten vor 16:30 bin ich von der Talstation noch weit entfernt. Ich hoffe darauf, mich verhört zu haben, vielleicht war es 17:30? Mit meiner Kraft am Anschlag fahre und schiebe ich weiter.
Es ist 16:45, als ich die Talstation in Sulden erreiche, Michael ist da, Roman nicht. Die letzte Bahn geht um 17:00!! Wenige Minuten nach mir ist Roman auch da. Wir sind die einzigen Fahrgäste bei dieser letzten Fahrt nach oben.
Auf der Adolf- Schaubach-Hütte weiß niemand etwas von unserer Reservierung, im Buch steht nichts. Dass fühlt sich jetzt nicht gut an. Das Hüttenteam ist entspannt: Wir sollen halt mal im Lager schauen. Wieder haben wir Glück, es gibt noch freie Plätze.
Am Abend kommen wir in der Stube mit Wanderern ins Gespräch und es dauert nicht lange und aus zwei Tischen wird ein Großer.
Das Lager war nicht ganz voll, dennoch war es bemerkenswert, dass niemand geschnarcht hat. Für meine Verhältnisse hab ich sogar ganz gut geschlafen.
Adolf- Schaubach-Hütte
Telefon: +39-0473/613 002
Mobil: +39-347/480 6466
10. Tag
26,9 km – 637 hm hoch – 1995 hm tief – 3:37 Std in Bewegung
Adolf- Schaubach- Hütte 2581m – Madritschjoch 3123m – Martello 1182m
Der Aufstieg zum Madritschjoch auf breiter Piste ist einfach, aber mit 20 % Steigung doch recht anstrengend.
Am Joch sind einige Wanderer und es kommen immer mehr aus der Richtung Martelltal nach. Es wird voller und wir bleiben nicht lange.
Der Abstieg vom Joch ist zuerst sehr steil und unfahrbar, anschließend ist es recht verblockt und wir können immer noch nicht fahren. Nach einer zweiten Steilstufe wird es besser, Michael fährt schon die ersten Stücke. Ich muss jedoch noch 300 hm warten.
Heute, am 10 Tag!! komm ich dann endlich auf die Idee vorne etwas Luft abzulassen, und schau, schon läuft es besser!! Ein gutes Stück konzentrierter Fahrt später kreuzen wir erneut den Madritschbach. Es kommt noch ein Gegenanstieg und wir sind bei der wirklich sehr schön gelegenen Zufallhütte. Viele andere finden den Platz auch schön und so ist hier einiges los. Auch reichlich Nichtsportler mit Kindern, es muss einen Parkplatz in der Nähe geben.
Der Parkplatz ist dann auch nur einen Spaziergang weit entfernt. Wir fahren flott eine Straße hinunter, dann am rechten Ufer des Zutrittsee entlang wieder auf Forststraße mit einzelnen Wanderern. Wir sind jetzt im oberen Martelltal angekommen und fahren das letzte Stück zum Auto auf Asphalt ab.