Zwischen Bormio und Stilfser Joch

Dieses Jahr ist alles anders. Anstatt eines Transalp fahren wir Tagestouren im Gebiet zwischen Bormio und Stilfser Joch. Entgegen meiner Hoffnung hat uns Corona auch 2021 noch im Griff und mir fehlte die Motivation, eine Tour zu planen, bei der ich nicht sagen kann, welche Hütten und Hotels aktuell überhaupt noch Gäste nehmen und welche vielleicht schon für immer geschlossen haben.

Um überhaupt in den Bergen fahren zu können, haben wir uns entschlossen, in diesem Jahr ausnahmsweise Tagestouren von festen Quartieren aus zu fahren. Für das Gebiet zwischen Bormio und Stilfser Joch haben wir uns wegen seiner vielen hochalpinen Möglichkeiten entschieden. Über die Jahre sind wir auf verschiedenen Touren hier durchgekommen und wollten nun die Gelegenheit nutzen, unseren guten Eindruck zu vertiefen.

Die Touren im Nationalpark Stilfser Joch
Die Touren im Nationalpark Stilfser Joch

Stilfs – Trofoi – Stilfs

Für die ersten Tage sind wir in einer Ferienwohnung in Stilfs untergekommen. Hier sind wir 2017 bei der Umrundung des Ortler Massivs schon einmal hier durchgekommen und es bietet sich an, dieses Teilstück für die erste Runde zum ankommen zu nehmen. Den Start der technisch einfachen Tour mit schönen Blicken auf den Ortler und die umliegenden Berge habe ich nach Stilfs gelegt.

Blick in die Ortler-Alpen
So siehen die Ortler-Alpen bei schönem Wetter aus

Von Stilfs aus geht es erst einmal auf Teer hinunter zur Passstraße zum Stilfser Joch. Ab Gomagoi sind es dann noch drei Kilometer hoch nach Trafoi. Hier gibt es einen einfachen Sessellift – inzwischen gibt es sogar Haken zum Einhängen der Räder – hoch zur Furkelhütte. Oben übernimmt der Almenweg, führt über die „Obere Stilfser Alm“ und weiter zur Lichtenbergscharte. Der Untergrund besteht größtenteils aus Almpisten, ein paar Wurzeln gibt es aber auch. Über ein etwas steileres Stück geht es zuletzt wieder hinab nach Stilfs.

Das wäre die Normalversion gewesen. Heute war aber nicht normal. In den letzten Tagen hatte es viel geregnet, und auch heute blieb es nicht wirklich trocken. Es gab keinen schönen Blick auf den Ortler, der für die schmierigen Stellen und nassen Wurzeln entschädigt. Überall nur Wolken und Nebel. Gerade noch rechtzeitig hat sehr neugieriges Jungvieh die Stimmung wieder gehoben.

Vom Ofenpass durchs Val Mora

Santa Maria (CH) – 46,4 km – 563 (Albert 877) hm – 2602 tm – 4:58 Std Bewegung – 7:41 Std Gesamt

Eine schöne und einsame Tour ohne Einkehrmöglichkeit. Sie führt über den Passo Gallo hinunter zum Lago di San Giacomo di Fraele und zurück durch das Val Mora.

Ein einsamer Brotzeitplatz über dem Aqua del Gallo

Vom Quartier in Stilfs fahren wir mit zwei Autos ins Münstertal in der nahe gelegene Schweiz. Nur wenige Kilometer hinter der Grenze, im schönen Santa Maria, lassen wir einen der Wagen zurück und fahren mit dem anderen und den Rädern auf dem 4er-Träger hoch zum Ofenpass auf 2149 m. Als wir am Parkplatz auf der Passhöhe ankommen, ziehen gerade erste Wanderer los. Andere sind noch mit dem Anziehen ihrer Stiefel beschäftigt. Ein teurer Wagen kommt, röhrt ein wenig und fährt mangels Publikum weiter. Hier oben ist noch nicht viel los.

Unsere Tour startet direkt auf der Passhöhe mit einem welligen und schön zu fahrenden Trail. Dieser einleitende Spaß findet leider schon nach zwei Kilometern sein Ende und fast gleichzeitig ziehen wir unsere Regenjacken an. Auf der vor und liegenden Anhöhe überfahren wir unbemerkt die Grenze nach Italien und bald danach ebenso unbemerkt den Passo Gallo. Vierzehn leicht zu fahrende Kehren tiefer liegt der Beginn des hier noch kleinen Lago di Livigno. Der Stausee wird hier von vielen Wildbächen gespeist, die sich alles ihren Weg durch den Hang suchen. Ein Bach hat wohl vor einiger Zeit den ganzen Hang und den alten Weg gleich mit fortgeschwemmt. Inzwischen wurde ein neuer Weg befestigt.

Es bleibt einsam bis zum Lago di San Giacomo di Fraele

Eine kurze Wegstrecke später stürzt sich ein Wasserfall so dicht am Weg in die Tiefe, das wir zuerst schon fest mit einer Dusche rechnen. Es werden dann aber doch nur einige Spritzer. Auf Trails und schönen einsamen Wegen erreichen wir nach ungefähr der Hälfte der Strecke den Picknickplatz am Lago di San Giacomo di Fraele und für die Zeit unserer Rast hat uns die Zivilisation in Form von Ausflüglern wieder. Bis zur Schweizer Grenze am Passo Val Mora ist es nicht mehr weit. Wir verlassen unspektakulär Italien und kommen in den interessanten Teil oberhalb der Aua del Val Mora.

Durch die Schutthalten oberhalb des Wildbachs schlängelt sich ein schmaler Pfad in stetem Auf und Ab durch die Hänge. Fahrtechnisch nicht schwer lässt sich der Abschnitt meist mit Spaß fahren. Allmählich ziehen sich die Berge zurück und je mehr wir uns dem Flachmoor Döss Radönd – der letzte höchste Punkt – nähern, desto breiter werden Tal und Weg. Das letzte Wegstück fällt in etlichen Kehren steil hinunter nach Santa Maria wo unser Auto steht.

Schludernser Berg

Schluderns – 23,4 km – 1063 hm – 3:55 Std Bewegung – 7:02 Std Gesamt

Die Tour ist mit 1060 hm auf 23 Kilometer schon ein wenig anstrengend. Dafür gibt es aber einen abwechslungsreichen Downhill und der Ortler schiebt sich so häufig vorteilhaft ins Bild, dass man die Tour auch „Ortlerblick“ nennen könnte.

Zwei Biker fahren einen Trail steil bergab
Abfahrt von der Ausser Alm

Wir finden gleich am Ortseingang von Schluderns einen guten Parkplatz und kaum losgefahren haben wir den Ortler zum ersten Mal gut sichtbar vor uns. Wir werden ihn noch öfters zu sehen bekommen. In mehreren Kehren zieht das Fahrsträßchen stetig hoch bis zum Marseilhof auf 1520 m. Unser Weg wird durch den Hof und dann am steilen Hang über dem Matschtal nach unten führen. Am Abzweig können wir uns eine kleine Pause, genießen die Aussicht und versuchen erfolglos unseren weiteren Weg zu entdecken.

Steil fahren wir durch einen anfangs leicht verwachsenen Weg etwa hundert Höhenmeter durch den Wald ab und treffen so auf den Gschneirer Waalweg. Ein Waalweg dient der Wasserversorgung und führt deshalb mit minimalem Gefälle durch die Landschaft. Damit seine regelmäßige Pflege gewährleistet ist, gibt es immer neben dem Wassergraben einen schmalen Versorgungspfad. Dieser führt uns am steilen Hang entlang und in einer Schleife wieder zurück auf einen Teil unseres vorigen Aufstiegs zum Marseilhof. Wieder auf der vorherigen Straße fahren wir erneut hoch in Richtung Marseilhof, biegen dann aber ein Stück vor dem Hof rechts ab in Richtung Gialhof.

Bis zur Ausser Alm kennt der Weg nur eine Richtung – hoch

An der nächsten Kuppe – bewacht von Schneewittchen und den sieben Zwergen – geht es links in einen unbefestigten Weg. Und weiter geht es nur aufwärts, wir sind noch nicht oben. Vier Kehren und eine Rampe trennen uns noch vom höchsten Punkt an der Ausser Alm auf 1830 m. Als Motivationshilfe kommt auf halber Strecke noch eine Lichtung, ein Lichtblick im wahrsten Sinne des Wortes. Der Wald öffnet sich hier zu einer Wiese, welche an ihrem Ende fast senkrecht ins Tal abfällt. Es gibt Bänke zum rasten, Wasser und einen großartigen Ausblick.

Und dann sind wir endlich ganz oben und finden den Einstieg in unseren Downhill. Es ist alles dabei: steile Abschnitte durch den Wald mit bis zu 28%, schmale Trails und breite Wanderwege. Viel zu schnell sind wir wieder unten. Im Birkenhof (kurz vor Tourende) kann man einkehren.

Um die südlichen Berge des Lago di Cancano

Torri di Fraele – 27,4 km – 678 hm – 3:27 Std Bewegung – 4:43 Std Gesamt

Die Rundtour startet bei den Torri di Fraele und führt auf Schotter und Trails an den Seen entlang und hoch durch eine schöne Landschaft. Abseits der Seen wird es schnell einsam.

Lago di Cancano

Auf feinem Schotter bzw. Teer geht es relativ flach an Stauseen Lago di Cancano und Lago di San Giacomo di Fraele entlang. Einfach und flach ändert sich erst kurz nach dem Rifugio San Giacomo. Ab hier zieht der Weg deutlich an und es wird gebirgiger, der Torrente Valle Corta liegt bald tief unter uns in seinem Tal. In der vergangenen Nacht hat es lange geregnet und das Thema Wasser wird uns heute begleiten. Der Boden ist gesättigt und im Gelände macht sich das viele Wasser deutlich bemerkbar. Eine Regenhose macht nun auch ohne Regen Sinn.

Wenig später, bei der Alpe Trela, gabelt sich der Weg. Leider viel zu früh für die einzige Einkehrmöglichkeit. Ab hier wird es einsam. Auf dem folgenden, etwas mühsamen Aufstieg zum Bocchetta Trelina, mit 2283 m der höchste Punkt unserer Tour, treffen wir nur noch vereinzelte Wanderer und natürlich Kühe. Einer schönen Trailabfahrt folgt der unvermeidliche Gegenanstieg, welcher allerdings schön auf schmalem Pfad durch den Wald führt.

Ein Schlenker bringt uns in die Nähe des bei Motorradfahrern beliebten Passo di Foscagno. Jetzt geht es steil durch den oberen Teil des Valle Fasagno hinunter, wo wir auf die alte Militärstraße stoßen, welche uns 2016 auf unserem Weg zum Comer See zum Passo Viola gebracht hat. Heute sind wir jedoch in der Gegenrichtung unterwegs und der Sentiero 9, wie die Militärstraße heute heißt, bringt uns flach bis in die unmittelbare Nähe zu den Torri di Fraele. Kurz vor dem Ziel erlaubt sich das Wasser noch einen Scherz zum Abschied – es hat uns ein kleines Hindernis in Form einer Mure über den Weg gelegt.

Bocchetta Forcola und Pedenolo

Umbrail Grenzübergang – 34,5 km – 615 hm – 1895 tm – 4:12 Std Bewegung – 8:06 Std Gesamt

Eine Supertour im Hochgebirge! Sehr ambitionierte oder jüngere Mountainbiker starten diese Tour in Bormio und kurbeln sich – zusammen mit Rennradlern, E-Bikern, Motorrädern und fast jeder Art von KFZ – auf der Superstrada 38 zum Umbrail Pass, kurz vor dem Stilfser Joch hoch.

Der Ortler

Wir haben uns gegen diese Challenge entschieden und starten direkt oben am Umbrail. Die heutige Tour kennen wir – wieder einmal – von unserer Ortlerumrundung. Allerdings sind wir 2017 vom Lago di Cancano gekommen und damit aus der Gegenrichtung. Vieles von dem, was wir heute abfahren werden, haben wir damals hochgeschoben.

Und noch einen Unterschied gibt es: Im August 2017 hatte es in der Nacht geschneit und am nächsten Tag war es kühl und der Himmel verhangen. Heute wird es blauen Himmel geben und angenehm warm sein. Unsere Vorfreude ist entsprechend groß. Vom Umrailpass hoch zum Bocchetta di Forcola gibt es einiges zu schieben. Nicht schlimm, ich weiß ja, welche Traumabfahrt oben auf uns wartet. Nachdem wir ausgiebig die Aussicht bewundert haben, geht es hinunter zu alten Caserna degli Alpini und weiter einen ausgewaschenen Weg steil hinunter.

Eine der schönsten Touren zwischen Bormio und Stilfser Joch

Zum ersten Mal habe ich Knieprotektoren dabei und ich muss sagen, die machen den Kopf frei. Die vor uns liegende Bocchetta di Pedenola liegt zwar nur wenige Meter höher als die Forcola, nachdem wir aber gerade erst abgefahren sind, geht es bald in den Gegenhang. Ab der Pedelona  geht es jetzt für lange wirklich nur noch runter. Kehre um Kehre schwingt sich die flache Militärstraße anfangs sanft, dann aber ab der Malga Pedenolo in schmalen Spitzkehren am Steilhang entlang insgesamt siebenhundert Meter in die Tiefe.

Der Steilhang ins Valle Forcola

An dieser Stelle muss ich unbedingt etwas über die „Steinmännchen“ loswerden.
Im weglosen Gebirge machen diese aufeinander geschichteten Steine für die Orientierung ja Sinn. Zur Spielerei für Kinder und Jungegebliebene werden sie in den Alpen mit seinem gut ausgeschilderten Wegenetz. Aber auf schmalem Pfad im Steilhang, so wie hier und direkt an die Kante gesetzt, ist es ein hirnrissiger Mordanschlag auf alle, welche weiter unten unterwegs sind.

Zu den Torri di Fraele ist es nicht mehr weit. Zwischen den beiden Türmen führt ein Trail steil auf losem Grund zu einer der ersten Kehren unterhalb. Wir haben diesen Teil ausgelassen und sind erst nach der Mautstelle auf einen Weg abgebogen, welcher wenig später schön auf Trail und Sträßchen hinunter nach Bormio führt.

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